Ein Kipppunkt oder auch Kippelement im Klima definiert einen kritischen Grenzwert, an dem eine kleine zusätzliche Störung zu einer qualitativen irreversiblen Veränderung im System führt. Ein Kipppunkt reagiert lange Zeit nur sehr wenig auf Stress. Wenn die Störung dann aber nur minimal weiter zunimmt, kippt das System unwiderruflich um.

Eine internationale Forschungsgruppe, die sich seit 2008 mit den Klima-Kippelementen beschäftigt, kommt in einer im September 2022 in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass vier der insgesamt 16 Kipppunkte für das Weltklima bereits im Jahr 2030 erreicht werden. Das Forscherteam um Dr. David Armstrong McKay und Professor Timothy Lenton von der University of Exeter (Großbritannien) führt in der Studie auf, dass beim Erreichen einer Erderwärmung von durchschnittlich 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter vier Kipppunkte erreicht werden: beim grönländischen und westantarktischen Eisschild, beim Absterben der tropischen Korallenriffe und beim Tauen des Permafrost-Bodens.

Klimakollaps für bestimmte Systeme könnte schon 2030 erreicht werden

Auf Basis der bisherigen Entwicklung, prognostiziert das Forscherteam, dass bereits im Jahr 2030 die Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius Realität werden. Aktuell haben wir eine Erwärmung von 1,1 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Damit haben wir bereits einen "sicheren" Klimazustand verlassen. Mit der aktuell veröffentlichten Studie verschärfen die Forschenden also nochmal die Warnungen vor dem Klimakollaps. "Das ist definitiv mehr als eine weitere Warnung vor dem Klimawandel", so Mitautor Johan Rökström, der schwedische Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Ko-Vorsitzender der "Earth Commission". "Es ist die erste präzise und sehr beunruhigende Analyse der Kippelemente, die uns zeigt, dass 1,5 Grad nicht einfach ein Klimaziel ist, sondern ein echtes planetares Limit."

Kippelemente werden aufgrund von Rückkoppelung schneller erreicht

Eine weitere beunruhigende Beobachtung des Forscherteams ist, dass Tendenzen der vergangenen Jahre darauf hindeuten, dass sich der Klimawandel nicht nur beschleunigt, sondern dass die Kippelemente scheinbar miteinander verknüpft sind. Das bedeutet, dass beim Erreichen eines Kippelementes eine positive Rückkoppelung ausgelöst wird. Das führt dann dazu, dass andere Kipppunkte schneller erreicht werden.

Zwei weitere in der Gefährdungsskala hochgestufte Kippelemente, die ebenfalls heute schon ganz klar auf eine Destabilisierung hindeuten, aber ihre kritischen Werte wahrscheinlich erst später erreichen, sind der Regenwald im Amazonas und   die vom Golfstrom gespeiste Umwälzzirkulation im Nordatlantik.

Der Amazonas Regenwald ist die "grüne Lunge" der Erde.

Bereits 17 Prozent des Amazonas-Regenwalds sind seit den Siebzigerjahren abgeholzt worden. Mit dem Ergebnis, dass der tropische Wald nach und nach anfälliger für Trockenheit geworden ist. Laut einer letzten Schätzung des Weltklimarats würde sich das Amazonasbecken unaufhaltsam in eine Savanne verwandeln, wenn sich die Rodungen des Regenwaldes auf 40 Prozent ausweiten. Die Studie des Forscherteams hat diese Schätzung  nun auf 20 bis 25 Prozent korrigiert. Somit nähern wir uns auch hier auf einem Kipppunkt, der unumkehrbar sein wird.

Der Klimakollaps könne noch verhindert werden, wenn der weltweite Klimaschutz schnell greift, so das Forscherteam. Hierfür müssen Frühwarnsysteme für Kippelemente weltweit ausgebaut und verbessert werden. Noch wichtiger ist aber, den Klimaschutz auszubauen, denn jedes Zehntelgrad hilft!

Oktober 08, 2022 — Katharina Lamsa